Sebastian Hesse – New Leipzig

20,00 

dienacht 2018

Erste Ausgabe

Von der Landeshauptstadt Bismarck sind es mit dem Auto eineinhalb Stunden bis nach Neu-Leipzig. Hier in North Dakota sind die Highways gerade wie die Krähen fliegen. Die Felder sind riesig und die Entfernungen zwischen den Städten auch.

„Hier haben die Coen-Brüder auf FARGO geschossen. Neu-Leipzig ist Heimat für 300 Seelen. Im Hochsommer verdreifacht sich ihre Zahl: Jedes Jahr im Juni feiert das Neue Leipzig sein Oktoberfest. Auch wer weggezogen ist, kommt wieder. Auf der Hauptstraße, der Lebensader von Neu-Leipzig, findet ein Umzug mit Mähdreschern, Traktoren und Oldtimern statt. Die Leute tanzen zu Polka-Rhythmen. Auf der Speisekarte finden sich Gerichte wie „Knepfla“ oder „Fleischkuechla“, die den deutschen Originalen kaum ähneln.

1910 erwachte das neue Leipzig zum Leben. Ihre Gründerväter kamen nicht direkt aus Sachsen: Sie hatten bereits im 19. Jahrhundert in Bessarabien an der Schwarzmeerküste ein zweites Leipzig gegründet. Von hier aus zogen sie weiter in die Vereinigten Staaten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Leipziger aus Sachsen nach Neu-Leipzig. Inzwischen sterben die deutschen Traditionen langsam. In der Kirche werden am Sonntagmorgen immer noch lutherische Kirchenlieder gesungen. Aber im Alltag spricht kaum noch jemand Deutsch. Junge Menschen ziehen weg aus Neu-Leipzig. Auch die Familie aus Magdeburg hat aufgegeben: Sie hatte die DDR nach dem Mauerfall verlassen und führte eine Zeit lang das Hotel Leipziger Hof in Neu-Leipzig.

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